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Mit der Digitalisierung der Friedhofspläne wird der Montabaurer Ehrenhain zum Geschichtsbuch – Eine AG des Landesmusikgymnasiums recherchiert seit 
20 Jahren

Das Flugzeug kommt von Nassau, wo es im Luftkampf des deutschen Jagdgeschwaders 54 gegen amerikanische Tiefflieger getroffen worden ist. Eine schwarze Rauchwolke hinter sich herziehend, rast es nahe Hübingen mit einem furchtbaren Aufprall in einen Hang und wird ebenso in Stücke gerissen wie der Pilot. Günther Koch stirbt am 13. Februar 1945 mit 22 Jahren. Seine letzte Ruhe findet er in Montabaur. Die Dokumentation seines Lebens ist dem Engagement einer Schüler-AG am Landesmusikgymnasium zu verdanken. Nun trägt die Digitalisierung der Friedhofspläne dazu bei, dass die Schicksale der Gefallenen, die im Ehrenhain beigesetzt sind, in Erinnerung bleiben.

Dateien im PC statt Aktenordner im Regal, bessere Übersichten, einfachere Koordination der Gewerke und schnelle Updates: Für Markus Kuch, Sachgebietsleiter Umwelt, Friedhöfe und Bauhöfe, und seine Kollegin Lisa Gerharz ist die tägliche Arbeit wesentlich einfacher geworden. Die Verbandsgemeinde (VG) Montabaur zählt zu den ersten Kommunen im nördlichen Rheinland-Pfalz, deren Friedhofsverwaltung online gegangen ist. Gemeinsam mit der Kölner Firma PBSGEO GmbH, die die Software GIS (Geografisches Informations-System) lieferte, wurden etwa 300 Papierpläne aller 31 Friedhöfe der VG digitalisiert. Neben weniger Verwaltungsaufwand bedeutet das mehr Bürgerservice. Wer ein bestimmtes Grab sucht, findet es auf einer Auskunftsplattform über die Eingabe des Familiennamens.

„Das neue Angebot hat außerdem sofort Menschen auf den Plan gerufen, die sich für Geschichte interessieren oder selbst die Vergangenheit erforschen“, erzählt Markus Kuch. Einer der Ersten war Claus Peter Beuttenmüller. Der inzwischen pensionierte Studiendirektor hat mehr als 20 Jahre lang die AG Volkstrauertag des Landesmusikgymnasiums geleitet. In jedem Schuljahr wurden die Lebensläufe gefallener Soldaten recherchiert, die im Montabaurer Ehrenhain begraben liegen. Es ist gute Tradition, dass Schülerinnen und Schüler die Ergebnisse ihrer Nachforschungen bei der zentralen Gedenkfeier des Westerwaldkreises vortragen, die jährlich am Volkstrauertag im November auf dem Friedhof in Montabaur stattfindet.

Claus Peter Beuttenmüller hatte nie Mühe, genügend Teilnehmende für sein Projekt zu finden. „Es ist sehr interessant, individuelle Schicksale kennenzulernen und zu vertiefen“, sagt Patricia (16). Sie findet es wichtig, dass gerade eine junge Generation, die im Frieden aufwächst, von Gleichaltrigen erfährt, die in den Krieg ziehen mussten und keine Zukunft hatten. Michael, ebenfalls 16 Jahre, ergänzt: „Die Gedenkfeier war und ist ein sehr wichtiges Ereignis, welches meinen Blick geändert hat: Vorher waren es einfach Gräber auf einem Friedhof. Da sie nicht einmal einen aus der Erde ragenden Grabstein oder sonst eine Auffälligkeit haben, schenkt man ihnen keine Beachtung. Doch hinter jeder Steinplatte im Boden liegt eine Persönlichkeit mit vielen Geschichten, jeweils ein ganzes Leben.“ Bedrückend findet der Gymnasiast die Menge der Kerzen, die während der Gedenkfeier für die Toten brennen. Allein in der kleinen Kreisstadt im Westerwald sind mehr etwa tausend Männer beerdigt, dazu einige Frauen und Kinder, die Opfer von Kampfhandlungen wurden. Michael: „Und dergleichen gibt es noch viel zu oft anderswo in Deutschland oder der Welt.“ Es wird nicht gelingen, sie alle aus der Vergessenheit zu holen. Aber ein Anfang ist gemacht; die ersten Lebensläufe plus Fotos sind jetzt online abrufbar. Dass größere Texte und mehrere Fotos ins GIS eingestellt werden können, ist mit der Funktion Taphophilia möglich, die PBSGEO eigens entwickelt hat.

Claus Peter Beuttenmüller nutzt den Ruhestand, um seine Arbeit fortzusetzen. Während Zeitzeugen allmählich aussterben, kommt ihm zunehmend das Internet zugute. Vor 20 Jahren, erinnert er sich, war hier „noch nicht viel zu holen“. Inzwischen ist das Netz ein enormer Fundus; er reicht von Plattformen über Kriegsereignisse in der Region bis hin zu historischen Totenzetteln, die über eBay angeboten werden. Mehr und mehr Geschichten können künftig erzählt werden. Jede einzelne erschüttert. So wurde der erst 17-jährige Panzergrenadier Gerhard Scheu im März 1945 bei einem Rückzugsgefecht mit amerikanischen Truppen an der Straße von Köllsch-Büllesbach bei Jungeroth getötet und mit seinem ebenfalls gefallenen Feldwebel Helfried Grantsau an Ort und Stelle im Vorgarten eines Hauses begraben. Erst 1954 wurden die beiden auf den neu angelegten Soldatenfriedhof nach Montabaur umgebettet und liegen auch hier nebeneinander. 

Der Friseur Eugen Bernhard Pfeiffer, verheiratet und Vater einer einjährigen Tochter, ist eines von mehr als 20.000 Opfern der NS-Militärjustiz. Laut offizieller Mitteilung an die Witwe ist er am 25. März 1945 um 18 Uhr „im Dernbacher Gemeindewald gefallen". Tatsächlich aber hatte sich Pfeiffer mit einem oder zwei Kameraden von seiner Einheit abgesetzt, als die US-Truppen Koblenz eingenommen hatten und kurz vor Montabaur standen. Die Männer, die sich nicht für den „Endsieg“ verheizen lassen wollten, wurden denunziert und als Deserteure im Schnellverfahren zum Tode verurteilt. Zusammen mit Karl Petermann wurde Pfeiffer bei Elgendorf im Wald erschossen und verscharrt. Seine Frau erfuhr erst Monate später von der Tragik des Geschehens. Die beiden Hingerichteten wurden zunächst auf dem Dernbacher Friedhof begraben und 1954 nach Montabaur gebracht.

Markus Kuch und Lisa Gerharz freuen sich, dass ein Projekt, das die Verwaltung moderner und effizienter macht, eine historische Dimension hinzugewonnen hat. Mit Claus Peter Beuttenmüller und den Jugendlichen der AG sind sie sich einig: Friedhof ist Geschichte. Die Soldaten, die im Krieg gefallen sind, dürfen nicht vergessen werden.

Zum Ehrenhain und den Lebensläufen der dort Begrabenen gelangt man über den digitalen Friedhofsplan:
https://vg-montabaur.friedhofsplan.de/map/montabaur/Grabstatus (Quelle VG Montabaur)