Auf dem Bürgersteig vor dem Haus Holzheimer Straße 6 ist die Familie wieder vereint. Zu den beiden dort schon seit Jahren befindlichen Stolpersteinen für das jüdische Ehepaar Jenny und Albert David Kahn ist nun ein weiterer für Tochter Hilde Kahn verheiratete Krysler hinzugekommen. Ende 1938 hatten sich die Wege zwischen Eltern und ihrer 15 Jahre alten Tochter getrennt. Vor dem Haus erinnert zudem ein Stolperstein an Fanny Goldberg, die 1938 für einige Monate in dem Haus wohnte.
„Sie ist gerne in ihre Geburtsstadt Limburg zurückgekommen“, hatte Annette Barrett über ihre Mutter aufgeschrieben. Sie selbst war emotional zu aufgewühlt, um vor Familienangehörigen, Vertreterinnen und Vertretern der jüdischen Gemeinde Limburg und der Stadt selbst zu reden, das überließ sie ihrem Sohn Adam, dessen englische Ansprache wiederum Markus Streb vom Arbeitskreis jüdisches Leben in Hünfelden übersetzte. Annette Barrett wurde bei ihrer Reise zum Haus ihrer Großeltern durch ihren Mann Martyn, Sohn Adam mit Frau Emily und den Kindern Anina und Max sowie Annettes Großcousin Scott Kalish mit Ehemann John aus den USA begleitet.
Hilde Krysler geborene Kahn hatte 1989 die Einladung der Stadt Limburg zu einem Treffen mit den noch lebenden Mitgliedern der alten jüdischen Gemeinde, die rechtzeitig vor den Nazis ins Ausland fliehen konnten. Die Begegnung mit ihnen bedeutete für sie eine große Erleichterung, auch die Begegnung mit vielen Limburgerinnen und Limburgern, die sich noch an ihre Eltern erinnerten. Wie Annette Barrett berichtet, war sie selbst 1995 zum ersten Mal mit ihrer Mutter und ihrer Familie in Limburg. „Meine Mutter freute sich riesig, uns ihr geliebtes Limburg zu zeigen. Sie ging beschwingt durch die Stadt.“
Für Bürgermeister Dr. Marius Hahn ist das Zurückkommen an Orte, von denen Menschen flüchten mussten, um ihr Leben zu retten oder die unweigerlich eng mit der Ermordung von nahen Angehörigen verbunden sind, keineswegs selbstverständlich. „Vielen Dank dafür“, sagte er der Familie, die mit drei Generationen vertreten war und in London und Brigthon lebt. Nach seinen Angaben ist es eine wichtige Aufgabe der heutigen und der kommenden Generationen, sich an das Schicksal derer zu erinnern, die Opfer des nationalsozialistischen Deutschlands geworden sind. Über 130 Stolpersteine verteilen sich inzwischen in der Stadt und sind Teil der Limburger Erinnerungskultur.
Stadtarchivar Dr. Christoph Waldecker rief das Schicksal der Familie Kahn und Fanny Goldbergs in Erinnerung, die in der Holzheimer Straße 6 lebten. Albert David Kahn arbeitete als Rechtsanwalt und hatte die aus Kirberg stammende Jenny Löwenstein geheiratet, die 1923 geborene Tochter Hilde blieb das einzige Kind. Am 9. November 1938 kam es auch in Limburg zu schweren Ausschreitungen gegen die Synagoge, Wohnungen und Geschäfte jüdischer Eigentümer. Die komplette Familie Kahn wurde verhaftet, Albert Kahn wurde ins Konzentrationslager Buchenwald verschleppt und erst im Dezember wieder freigelassen. Hilde und ihre Mutter Jenny wurden im Limburger Gerichtsgefängnis festgehalten. Nach vier Tagen wurden sie freigelassen.
Die Eltern entschieden, ihre Tochter nach Großbritannien und damit an einen sicheren Aufenthaltsort zu schicken. Dort gab es schon Verwandte. Ihre Eltern, die nachfolgen wollten, sah sie nicht wieder. Albert Kahn reiste im Februar 1939 nach Brüssel, seine Frau blieb in Limburg zurück. Mit dem Einmarsch der Wehrmacht in Belgien im Mai 1940 war es um Albert Kahns Sicherheit geschehen. Seine Spur verliert sich, vermutlich kam er bei einer Aktion der Gestapo 1940 in Belgien ums Leben. 1951 erklärte das Amtsgericht Limburg ihn mit Datum 8. Mai 1945 für tot. Jenny Kahn blieb zunächst in Limburg, wechselte in die Barfüßerstraße und auf die Plötze und zog im September 1939 nach Mainz. Dort lebte sie in einem sogenannten „Judenhaus“. Am 25. März 1942 wurde sie ins Ghetto Piaski in Polen deportiert und vermutlich wenige Tage später ermordet.
Tochter Hilde lebte seit Februar 1939 in England. Nach Beendigung ihrer Schulausbildung arbeitete sie für das Luftfahrtministerium und Admiralität, berichtete ihre Tochter Annette. Dort lernte sie Clement Krysler, ebenfalls ein jüdischer Flüchtling, kennen. Sie heirateten 1946 und erhielten 1947 die britische Staatsbürgerschaft.
„Meine Mutter und Maria blieben immer in Kontakt“, berichtete die Tochter. Maria, das war das Limburger Nachbarskind in der Holzheimer Straße, mit der Hilde befreundet war. Die beiden blieben stets durch Briefe miteinander verbunden und wenn Hilde Krysler in Limburg war, stand auch immer ein Besuch bei Maria an. „Marias Sohn besuchte meine Mutter sogar einige Jahre vor ihrem Tod in London“, hatte Annette Barrett weiter notiert.
Nach Angaben von Dr. Marius Hahn ist der Stolperstein für Hilde Kahn der 132., der in der Stadt verlegt wurde, ein weiterer Stolperstein folgt am 10. Juni für Herbert Lamboy in der Straße Schiede 5. Drei weitere in Lindenholzhausen und der Innenstadt werden in Kürze folgen. Aktuell nähert sich die Zahl der ermittelten Opfer des NS-Regimes den 200. (Stadt Limburg)