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Leidtragende sind die Ärmsten der Gesellschaft
Montabaur / Westerwald. Viele Waren, die an anderer Stelle nicht mehr gebraucht werden, erhalten hier ein neues Leben: im Sozialkaufhaus in Montabaur! Auf der Ausstellungs- und Verkaufsfläche mit zwei Ebenen wird eine stattliche Auswahl von Bekleidung und Haushaltsgegenständen bis zu Möbeln und Elektrogeräten sowie allerlei nützlichem Kleinzeug angeboten – und das zu ganz kleinen Preisen. Nun steht dieser in und um die Westerwälder Kreisstadt von vielen bedürftigen Menschen mit knappem Geldbeutel geschätzte Markt vor dem Aus: am letzten Tag des Jahres 2025 ist nach über 15 Jahren Schluss!


Im Sozialkaufhaus in Montabaur können Menschen aus der Region, denen es nicht so gut geht und denen es oft am Nötigsten fehlt, in Würde einkaufen. Dies sind Personen, die nachweislich wenig Geld zur Verfügung haben, beispielsweise Bezieher von Arbeitslosengeld II, Tafelkunden/innen und Geflüchtete im Leistungsbezug.
Zum festen Bestandteil des sozialen Lebens geworden
Die aktuell von der SoRocket GmbH mit Sitz in Koblenz betriebene soziale Einrichtung in Montabaur ist seit der Eröffnung schnell zu einem festen Bestandteil des sozialen Lebens im südlichen Westerwald geworden. Nicht nur ein Laden mit günstigen Waren, sondern auch ein Haus der Begegnung und eine unverzichtbare Brücke zwischen den Warenspendern, Menschen in Not und der gesamten Bevölkerung in der Region. Hier geht es nicht in erster Linie um Konsum, sondern um Würde, soziale Teilhabe und auch ganz nebenbei um nachhaltigen Ressourcenschutz.
Jährlich verarbeitet das engagierte und erfahrene Team im Kaufhaus mit den Maßnahmeteilnehmer/innen rund 30 Tonnen Kleiderspenden in ihrer Wäscherei, damit Hemden und Hosen frisch und verkaufsbereit bleiben. Seit 2022 wurden über 2000 Kundenkarten ausgegeben, täglich nutzen mehr als 50 Menschen das vielfältige Warenangebot zur besseren Bewältigung des Alltags. Weit über 100 Personen erhalten pro Jahr hier als Bezieher von Transferleistungen Betten, Geschirr, Toaster und vieles mehr für ihre Erstausstattung.
Fast so wichtig wie der günstige Erwerb von Gebrauchtwaren: Für viele Besucherinnen und Besucher ist das Projekt außerdem ein liebgewonnener sozialer Ort. Ein Treffpunkt, an dem in vielen Sprachen gesprochen wird, Kontakte geknüpft und gegenseitige Unterstützung gelebt wird.
Drei Ziele werden im Sozialkaufhaus gelebt
Zusammengefasst kann man feststellen, dass im Sozialkaufhaus unter Anleitung von erfahrenen Fachkräften drei zentrale Ziele aktiv gelebt werden:
• Soziale Teilhabe: Bedürftige Menschen erhalten Zugang zu qualitativ guten Kleidungstücken, Möbeln und Haushaltsgegenständen – zu Preisen, die Würde und Gleichberechtigung ermöglichen.
• Nachhaltigkeit: Gut erhaltene Spenden werden weitergegeben statt weggeworfen – ein aktiver Beitrag zur Ressourcenschonung und zur Reduzierung von Müll.
• Arbeitsmarktintegration und Alltagshilfe: Im Integrationsprojekt des Jobcenters Westerwald ist es den Mitarbeitern von SoRocket in den letzten Jahren überdurchschnittlich gut gelungen, den Teilnehmenden neue Perspektiven aufzuzeigen und sie in sozialversicherungspflichtige Beschäftigung zu vermitteln. Leider kann das in Zukunft so nicht weitergeführt werden.
Rund um das funktionierende Sozialkaufhaus ist eine intakte Gemeinschaft entstanden, die vom Geben und Nehmen lebt. Mit dabei sind private Spenderinnen und Spender und die Mitarbeiter/innen vor Ort, die tagtäglich dafür sorgen, dass Menschen ein Stück Normalität und Perspektive zurückgewinnen. „Eine endgültige Schließung unserer Einrichtung würde die Lebensqualität zahlreicher Mitmenschen empfindlich beeinträchtigen“, so die langjährige Projektleiterin Andrea Leineweber.
Gerade in Zeiten, in denen Bürgergeldempfängerinnen und -empfänger zunehmend Ziel vereinfachter oder reißerischer Berichterstattung werden, ist es wichtiger denn je, den Blick auf die Realität zu richten. Menschen, die Unterstützung brauchen, sind nach Ansicht von SoRocket Geschäftsführer Stephan Reckmann unsere Nachbarinnen und Nachbarn: „Ein Sozialkaufhaus schafft nicht Schuldzuweisungen, sondern Chancen - für individuelle Stabilität und für den immer wichtiger werdenden Zusammenhalt der Gesellschaft“, so Reckmann.
In einigen politischen und gesellschaftlichen Funktionen hat Uli Schmidt das Sozialkaufhaus seit der ersten Stunde begleitet. Er hält sich mit seinem Ärger und seiner Enttäuschung darüber, dass nur wegen einer Änderung der Förderbedingungen nun das Ende bevorsteht, nicht zurück: „Derzeit überbieten sich die Koalitionsparteien in Berlin damit, zur finanziellen Entlastung des Bundeshaushaltes schnell Empfänger/innen von Bürgergeld in Arbeit bringen zu wollen – und nun passiert im Westerwald in einem erfolgreichen Praxisbeispiel genau das Gegenteil“, so das langjährige Mitglied des Kreissozialausschusses. So ein Unsinn könne nicht einfach akzeptiert werden, denn die Leidtragenden dieses Schildbürgerstreiches seien die Ärmsten der Gesellschaft.
Träger, Mitarbeitende und Unterstützer rufen die Bevölkerung, lokale Unternehmen und Entscheidungsträgerinnen und -träger deshalb dazu auf, sich ehrenamtlich einzubringen und politische bzw. finanzielle Unterstützung zu prüfen, damit der Betrieb langfristig gesichert bleibt. So können Sachspenden (gut erhaltene Kleidung, Bettwäsche, Handtücher, Küchenutensilien, Möbel) weiterhin für bedürftige Menschen angenommen werden. (Uli Schmidt)