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WW. Inklusion? Na klar! Die große Mehrheit der Westerwälder ist sich wohl einig: Menschen mit und ohne Behinderung sollten in unserer Gesellschaft gleichberechtigt zusammenleben. In der Praxis jedoch hält sich aber noch so manches Vorurteil hartnäckig – auch auf dem Arbeitsmarkt. Wie heimische Unternehmen damit umgehen und wie Inklusion im Betrieb gelebt wird, war Thema einer Unternehmensrundreise „Inklusion auf dem Westerwälder Arbeitsmarkt“. Eingeladen dazu hatte der Senioren- und Behindertenrat Südlicher Westerwald (SBR-SÜW). „Reiseteilnehmer/innen“ waren ein Dutzend ausgewählte Expertinnen und Experten zu den Themen Behinderung und Arbeitsmarkt. Sie erlebten zusammen an 5 Stationen einen tiefen Einblick in die Praxis.

Erster Gastgeber war die Medizinisch-Berufliche Rehabilitation (MBR) an der BDH-Klinik in Vallendar, an der auch Jugendlichen mit einer neurologischen Beeinträchtigung aus dem Westerwald eine berufliche Eingliederung ermöglicht wird. „Für unsere jungen Rehabilitanden werden maßgeschneiderte Förder- und Therapiepläne erarbeitet, durchgeführt und regelmäßig hinterfragt“, so die MBR-Leiterin Birgit Heider-Neideck. Wichtig sei auch das Lebenspraxistraining, das von der ÖPNV-Nutzung bis zum Behördengang und der Freizeitgestaltung reiche. Von der praktischen Arbeit durften sich die Gäste dann in Kleingruppen in den vier Ausbildungsbereichen Holz und Metall sowie Hauswirtschaft und Büromanagement überzeugen – jeweils vorgestellt von den Auszubildenden. Diese freuten sich so sehr über den Besuch, dass sie für die Gäste sogar ein kleines Frühstück vorbereitet hatten.

Weiter führte die Reise zur Hörter Tonwarenfabrik GmbH in Ransbach-Baumbach, wo unter 219 Beschäftigten 12 mit einem Handicap arbeiten. Bei einem Rundgang durch die Produktionshalle zeigte Geschäftsführer Martin Hörter der Gruppe 2 Arbeitsplätze, die barrierefrei umgestaltet und von denen einer zu 80 % gefördert wurde. „Das ist in Form einer Hebebühne nicht nur gut für die Menschen mit Behinderung, sondern auch für viele andere im Betrieb“, freute sich der Gastgeber. Personalleiter Carsten Neuroth wies darauf hin, dass es zunehmend schwieriger sei das passende Personal zu finden, weshalb Menschen mit einem Handicap zunehmend im Blick seien.

Nächste Station war die RuGo Bags GmbH in Ebernhahn, die seinen Kunden u.a. bei Verpackungen ein zuverlässiger Partner ist. Geschäftsführer Volker Nengel führte den Besucher/innen zunächst mit der „Recover-E-Bag“ eine Neuentwicklung seines Unternehmens zur Brandbekämpfung von E-Autos vor. Im Mittelpunkt stand aber für die Gäste ein Mitarbeiter, der über die „Unterstützte Beschäftigung“ der Caritas ins Unternehmen kam. „Er ist uns ein zuverlässiger Mitarbeiter geworden, der seine Arbeit selbständig erledigt und wunderbar integriert ist“, lobte der Chef seinen engagierten Lagerhelfer, dessen Beschäftigung zudem noch aus öffentlichen Mitteln gefördert wird. Davon, wie gut dieser seine Arbeit erledigt, konnten sich die Gäste dann selbst im Gespräch mit ihm an seinem Arbeitsplatz überzeugen. „Gerne stelle ich noch so einen engagierten Mitarbeiter mit einer Behinderung ein“, stellte Nengel zum Abschluss fest.

Ein Unternehmen, das 1961 als Einmannbetrieb gegründet wurde, stand dann mit der WWL Westerwaldlogistik GmbH in Moschheim auf dem Reiseplan. Der Sohn des Gründers und heutige Geschäftsführer Dirk Körting baute die WWL zu einem leistungsstarken und nachhaltig aufgestellten Regionallogistiker mit 30 qualifizierten Mitarbeitenden aus. „Vorurteile gegen Menschen mit Behinderungen in der Arbeitswelt wurden bei uns eindeutig widerlegt, sie sind zuverlässig und motiviert“, stellte Körting zufrieden fest. Bei einem Rundgang mit Besichtigung der barrierefrei umgestalteten Arbeitsplätze zeigte sich der Geschäftsführer begeistert von der unkomplizierten Förderung und Betreuung durch die zuständigen Behörden. Auch freute er sich mit dem anwesenden Ortsbürgermeister Norbert Möller darüber, für die inklusiven Bemühungen mit einem Landespreis ausgezeichnet worden zu sein.

Letzte Station war die ITEX Gaebler-Industrie-Textilpflege GmbH & Co KG in Montabaur/Heiligenroth. Am neuen und erweiterten Standort im Industriegebiet Heiligenroth begrüßte Geschäftsführerin Eva Reiter die Inklusionsgruppe: „Wir beschäftigen 8 Menschen mit Behinderung, denen man dies auf den ersten Blick meist nicht ansieht“. Die Zusammenarbeit mit ihnen sei optimal und aktuell werde die Einstellung einer Rollstuhlfahrerin mit Multipler Sklerose (MS) vorbereitet. Bei einem Rundgang durch den modernen Betrieb wurde an einigen Stellen gezeigt, wo und wie Barrierefreiheit umgesetzt wird, die auch vielen anderen Beschäftigten die Arbeit erleichtert. Im Gespräch schilderte dann einer der Betroffenen sein Schicksal: „Nach einem Schlaganfall wurde hier im Unternehmen alles dafür getan, dass ich bleiben und meine Arbeit weiter voll ausfüllen kann!“ Seniorchef Rainer Rabe wies darauf hin, dass die Gesundheit der 195 Beschäftigten ein hohes Ziel im Betrieb ist: „Ein eigenes Fitnessstudio mit einem eingestellten Physiotherapeuten sind dafür nur ein Beleg von vielen“, so Rabe.
Als Koordinator des SBR und „Reiseleiter“ der Inklusionstour dankte Uli Schmidt zunächst der Firma Auto Bach GmbH in Limburg, die für die Tour einen Kleinbus kostenfrei zur Verfügung gestellt hatte – sowie allen Gastgebern, Teilnehmenden und Unterstützern, die den informativen Tag ermöglichten. „Wir sind mit der Inklusion im Wäller Arbeitsmarkt nicht mehr am Anfang, aber die aktuelle Situation kann nicht zufriedenstellen. Wenn die Rahmenbedingungen stimmen, kann ein großer Teil der Arbeitsplätze von einem Menschen mit einer Behinderung gut ausgefüllt werden. Oft muss nur Geringfügiges angepasst werden. Inklusion ist auch keine Frage der Unternehmensgröße, wie wir heute festgestellt haben“, stelle Schmidt am Ende der Tour hoffnungsvoll fest.
Teil 2
Abschluss- und Auswertungsgespräch der Teilnehmenden
• Landesbehindertenbeauftragter Matthias Rösch zeigte sich begeistert vom hohen sozialen und nachhaltigen Engagement der besuchten Unternehmen: „Hier werden die Vorurteile gegen die Beschäftigung von Menschen mit einer Behinderung eindrucksvoll widerlegt“, so der Gast aus Mainz. Außerdem sollen Inklusionsfirmen, von denen es auch im WW schon einige mit unterschiedlichen Geschäftsfeldern gibt, künftig eine wichtigere Rolle einnehmen.
• Lothar Lehmler knüpfte daran an und wies darauf hin, dass immer noch zu oft Unternehmensentscheidungen von falschen Behauptungen beeinflusst werden, also die „Behinderten“ krieget man nicht mehr los, die haben ja nur Urlaub oder es gibt nur Probleme. „Da müssen wir noch überzeugen und es ist noch viel Luft nach oben“, so der erfahrene Rehaexperte.
• Tim Hermann lobte die heute besuchten durchweg inhabergeführten Unternehmen für ihr Engagement und Vielfalt – er werde sich dafür in seiner noch neuen Beratungsfunktion einsetzen, dass mehr diesen guten Beispielen folgen.
• Es sei an der Zeit, so Santana Hoppe, mutigere Schritte zu mehr Beschäftigung von Menschen mit Behinderung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu gehen. „Arbeitgeber müssen vorangehen, barrierefreie Zugänge schaffen und nachhaltige, gesunde Arbeitsbedingungen sicherstellen dabei können wir helfen!“  
• Colin Geßner gab einen Überblick zur Situation der Arbeitslosigkeit von Menschen mit Behinderung im WW, die sich mit einem Rückgang von 22 Betroffenen im Jahr 2022 etwas entspannt hat. „Häufig fehlen Unternehmen das Know-How und Erfahrungen, wie sie behinderte Menschen optimal in ihrem Betrieb einbinden können und welche Förderungen es gibt – dabei helfen wir gerne mit Rat und finanziellen Mitteln“.
• Für Kreisbehindertenbeauftragter Christoph Seimetz war das ein ganz wichtiger Tag – er rief dazu auf, die Netzwerkarbeit zu verstärken und lud zur Messe zum Thema Behinderung u.a. am 15.7. im Bürgerhaus Wirges ein.
• Für Gabi Crecelius ist eine wichtige Erkenntnis, dass die barrierefreien Umgestaltungen in den Unternehmen nicht nur für Menschen mit Behinderungen eine Erleichterung bringen: „Unsere Gesellschaft und auch die Arbeitnehmer werden immer älter, da sind Erleichterungen für alle sinnvoll“.
• Ein Mitarbeiter mit Behinderung der ITEX Gaebler meinte: „Man muss gern zur Arbeit gehen, dann ist man auch leistungsfähiger - egal ob mit oder ohne Behinderung. Und ich gehe jeden Tag gerne in die Firma!“
• Armin Gutwald, Geschäftsführer der Caritas-Werkstätten Westerwald-Rhein-Lahn, war nur beim Abschlussgespräch für die erkrankte Dagmar Theis dabei: „Alle Menschen mit einem Handicap, die Hilfe brauchen, kriegen die auch durch ein inzwischen dicht geknüpftes Hilfssystem - das gilt von der WfbM bis zum Arbeitsmarkt!“
• MdB Dr. Tanja Machalet rief die heimischen Unternehmen dazu auf, bei der Personalsuche verstärkt auch Menschen mit Behinderung eine Chance zu geben: „Die sind oft besonders engagiert und zuverlässig“, so die Politikerin, die auch dem Sozialausschuss des Bundestages angehört.
• Jürgen Meurer ist bei den Unternehmen Hörter und ITEX als selbständiger Reha-Berater beteiligt und verfügt über unendlich viel Erfahrung zum Thema: „Die soziale Kompetenz wird in jedem Unternehmen immer wichtiger, erfährt aber noch nicht überall die nötige Wertschätzung. Der Mensch steht im Mittelpunkt, nur Mitarbeitende mit oder ohne Behinderung, mit denen man gut umgeht, sind gute und voll leistungsbereite Beschäftigte!“
• In allen besuchten Unternehmen wurde in irgendeiner Form die kooperative Zusammenarbeit mit den zuständigen Behörden und den Organisationen im Umfeld gelobt! „Reibungslos und unkompliziert“ sei das gelaufen, so Carsten Neuroth von der Firma Hörter!
Diese Experten und Expertinnen waren an Bord:
• Matthias Rösch, Landesbehindertenbeauftragter Rheinland-Pfalz, Mainz
• MdB Dr. Tanja Machalet, Bundestagsabgeordnete und Mitglied im Ausschuss für Arbeit und Soziales, Meudt
• Cornelia Böwing, Mitarbeiterin im Inklusionsreferat des Ministeriums für Arbeit, Soziales, Transformation und Demografie, Mainz
• Colin Geßner, Rehateam der Agentur für Arbeit, Montabaur
• Dagmar Theis, Leiterin Viweca der Caritas-Werkstätten, Montabaur (kurzfristig ausgefallen, wurde teilweise vertreten)
• Christoph Seimetz, Behindertenbeauftragter des Westerwaldkreises, Wirges
• Lothar Lehmler, BDH-Bundesvorstand (früher langjähriger Leiter der MBR Vallendar), Kadenbach
• Gabi Crecelius, Bereichsleitung Integrationsfachdienst beim DW Westerwald, Montabaur
• Tim Herrmann, Einheitliche Ansprechstelle für Arbeitgeber beim DW Westerwald, Montabaur
• Santana Hoppe, Integrationsamt Koblenz
• Uli Schmidt, Koordinator SBR, Horbach

Teil 3
Das sind Fakten….
Es gibt viele Fördermöglichkeiten für Arbeitgeber/innen, die Menschen mit Behinderung einstellen wollen. Die Agentur für Arbeit in Montabaur und das Integrationsamt in Koblenz beraten Unternehmen und unterstützen finanziell. Oft helfen auch einfache, wenig kostspielige Lösungen. So oder so, Investitionen in Barrierefreiheit zahlen sich für Unternehmen gleich mehrfach aus: Nicht nur neue Mitarbeitende mit Behinderung, auch ältere oder erkrankte Kollegen/innen profitieren und bleiben länger arbeitsfähig. Außerdem: Sozial engagierte Unternehmen sind ein attraktiver Arbeitgeber für alle Fachkräfte – nicht nur für diejenigen mit Behinderung. Und auch Kunden schätzen soziales Engagement und profitieren von barrierefrei zugänglichen Waren und Dienstleistungen.

Alle Akteure sind in der Verantwortung, verstärkte Anstrengungen, Impulse und Instrumente einzusetzen, um einen entschlossenen Teil dazu beizutragen, den Wäller Arbeitsmarkt mittelfristig inklusiv, gerecht und gesund auszurichten! (Quelle Uli Schmidt)