Nach wie vor regionale Unterschiede bei der Qualität der Versorgung von Menschen in rheinland-pfälzischen Pflegeheimen
Fehlende Prophylaxe und Prävention, kritische Arzneimittelversorgung und vermeidbare Krankenhausaufenthalte: Das Wissenschaftliche Institut der AOK (WIdO) hat aktuelle Daten zu insgesamt zehn Versorgungsthemen mit Blick auf Pflegeheimbewohnende im Online-Portal „Qualitätsatlas Pflege“ vorgelegt. Mit den sogenannten QCare Indikatoren werden regionale Unterschiede in der pflegerischen, ärztlichen und therapeutischen Versorgung in Pflegeheimen erfasst und teils erhebliche Qualitätsunterschiede in der Versorgung deutlich gemacht.
Nach der ersten Veröffentlichung der Ergebnisse vor zwei Jahren sind aktuelle Auswertungen für die Datenjahre 2022 und 2023 ergänzt worden, die bei allen Indikatoren wenig Veränderung der Werte erkennen lassen. „Die AOK fordert aus Anlass der Veröffentlichung, solche Auswertungen von Abrechnungsdaten der Kranken- und Pflegekassen zur Weiterentwicklung der medizinischen und pflegerischen Versorgung zu nutzen“, sagt Dr. Martina Niemeyer, Vorstandsvorsitzende der AOK Rheinland-Pfalz/Saarland – Die Gesundheitskasse
Auffälliger Einsatz von Beruhigungs- und Schlafmitteln
Ein anhaltendes bundesweites sowie rheinland-pfälzisches Problem ist der Auswertung zufolge die Dauerverordnung von Beruhigungs- und Schlafmitteln bei Pflegeheimbewohnenden: So erhielten in Deutschland 7,1 Prozent und in Rheinland-Pfalz 7,7 Prozent von ihnen im Jahr 2023 eine Dauerverordnung von beispielsweise Benzodiazepinen (Werte für 2021: Bund 7,5 Prozent, Rheinland-Pfalz 7,6 Prozent). Diese Arzneimittel wirken schlaffördernd, beruhigend und angstlösend – allerdings nur kurzfristig, denn nach vier Wochen sind diese Effekte nicht mehr gegeben. Bei langfristiger Gabe drohen dann Abhängigkeiten, eine erhöhte Sturzgefahr sowie das Auftreten von Angst und Depressionen. „Mit unserer Auswertung sorgen wir für ein Plus an Transparenz. Seit der ersten Veröffentlichung dieser Daten stellen wir neben einem geringen bundesweiten Rückgang, leider eine leichte Zunahme der Dauerverordnungen in Rheinland-Pfalz fest. Insgesamt belegen die Resultate des Qualitätsatlas Pflege den anhaltenden Optimierungsbedarf bei dieser risikoreichen und nicht zielführenden Dauermedikation“, erläutert Niemeyer.
83 Prozent der Pflegeheimbewohnenden mit Diabetes in Rheinland-Pfalz ohne augenärztliche Vorsorge
Erkenntnisse in der Versorgungsqualität zeigen sich auch an der Schnittstelle zur ambulant-ärztlichen Versorgung: So haben 83 Prozent der an Diabetes erkrankten Pflegeheimbewohnenden in Rheinland-Pfalz im Jahr 2023 keine augenärztliche Vorsorge erhalten (Bund 79 Prozent). Dabei sehen die medizinischen Leitlinien eine regelmäßige Kontrolle der Augen vor, um frühzeitig Veränderungen der Netzhaut zu erkennen und irreversible Sehstörungen zu vermeiden.
Zeitreihe zeigt steigendes Niveau der Stürze bei Risikomedikation
Der Qualitätsatlas Pflege betrachtet auch sturzbedingte Krankenhausaufenthalte bei Pflegeheimbewohnenden, die Medikamente erhalten, welche die Wahrscheinlichkeit für Stürze erhöhen. Durch die Einnahme von Wirkstoffen wie Antidepressiva, Antipsychotika, Hypnotika/Sedativa oder auch durch Benzodiazepine erhöht sich das ohnehin schon hohe Sturzrisiko von betagten, multimorbiden Menschen noch weiter. Die Daten zeigen, dass im Jahr 2023 mit 18,5 Prozent in Rheinland-Pfalz (16,2 Prozent in Bundesmittel) mehr als jede sechste Person, die im Pflegeheim obiges erhielt, sturzbedingt im Krankenhaus versorgt wurde. 2017 und 2021 belief sich der Anteil der rheinland-pfälzischen Betroffenen auf 17,2 und 17,9 Prozent und hat sich damit leider erhöht.
Zehn Indikatoren an Schnittstellen der Versorgung von Pflegebedürftigen
Neben den genannten Indikatoren betrachtet der Qualitätsatlas Pflege noch sieben weitere Themen im regionalen und zeitlichen Vergleich: die Krankenhauseinweisungen von Demenzkranken aufgrund von Flüssigkeitsmangel, vermeidbare Krankenhausaufenthalte am Lebensende, das Auftreten von Dekubitus, die Dauerverordnung von Antipsychotika bei Demenz, die gleichzeitige Verordnung von neun oder mehr Wirkstoffen, den Einsatz von für ältere Menschen ungeeigneter Medikation und die Häufigkeit besonders kurzer Krankenhausaufenthalte von bis zu drei Tagen.
Hintergrund zum Qualitätsatlas Pflege
Die WIdO-Analysen für den Qualitätsatlas Pflege beruhen auf den Abrechnungsdaten der AOKs. Dabei wurden die Daten aus der Kranken- und aus der Pflegeversicherung einbezogen und miteinander verknüpft. Zur Darstellung von räumlichen Verteilungsmustern bei der Versorgungsqualität nutzt das WIdO ein wissenschaftlich entwickeltes Set von Qualitätsindikatoren für die Pflege (QCare Indikatoren). Insgesamt sind in die Auswertung die Daten von rund 350.000 Pflegeheimbewohnenden ab 60 Jahren eingeflossen. Das entspricht knapp der Hälfte aller stationär versorgten Pflegebedürftigen in Deutschland. Im Online-Portal „Qualitätsatlas Pflege“ des WIdO sind die Ergebnisse für die einzelnen Bundesländer und für die rund 400 Kreise und kreisfreien Städte in Deutschland im regionalen Vergleich dargestellt. Die Ergebnisse zu den zehn betrachteten Themen können nun auch als Zeitreihen für die Datenjahre 2017 bis 2023 betrachtet werden.
Qualitätsatlas soll zur Verbesserung regionaler Strukturen und Rahmenbedingungen beitragen
Der Qualitätsatlas Pflege des WIdO richtet sich im ersten Schritt vor allem an die leistungserbringenden Akteure vor Ort, mit denen die AOK zur Weiterentwicklung der Versorgung sowie zur weiteren Ausrichtung der regionalen Strukturen und Rahmenbedingungen regelmäßig im Austausch steht. Bereits nach der Veröffentlichung der ersten Ergebnisse vor zwei Jahren fanden Austausche der AOK mit verschiedenen Akteuren und Verbänden statt. Mit den Inhalten und Ergebnissen des Pflege-Reports 2023 hat sich in Rheinland-Pfalz u.a. auch der Ausschuss für Arbeit, Soziales, Pflege und Transformation des rheinland-pfälzischen Landtags befasst. (AOK RLP)