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Die Not im Ahrtal lässt Björn Flick nicht ruhen

AHRWEILER/WESTERWALD. Vier Jahre sind seit der Flutkatastrophe im Ahrtal vergangen. Die Bilder von zerstörten Dörfern, aufgerissenen Straßen und verzweifelten Menschen haben sich tief in das kollektive Gedächtnis gebrannt. Auch für Björn Flick, Vorsitzender des Vereins Wäller Helfen, war diese Katastrophe ein Einschnitt – persönlich, emotional und ehrenamtlich. Während andere längst zur Normalität zurückgekehrt sind, lässt ihn das Ahrtal nicht los. In seinem diesjährigen Sommerurlaub fährt Flick , genau wie vor 4 Jahren erneut in die Region. Was er sieht, macht betroffen – und wütend.

Schon die Anreise entlang altbekannter Wege lässt Erinnerungen wach werden. Die kurvigen Straßen durch das Ahrtal, die Flick im Sommer 2021 beinahe täglich befuhr, sind wiederhergestellt – zumindest teilweise. Wo damals die Flut ganze Fahrbahnabschnitte mitgerissen hatte, rollt heute wieder der Verkehr. Der Anschein von Normalität. Doch beim genaueren Hinsehen, vor allem im Gespräch mit Betroffenen, holt ihn die Realität ein.

„Es riecht noch immer nach Heizöl“

„Unsere Kinder und Enkel wollen uns nicht mehr besuchen – sie halten den Gestank in unserem Haus nicht aus“, berichtet eine ältere Dame aus Dernau. Das Haus wurde renoviert, der Keller ausgetrocknet, Wände neu verputzt, Leitungen und Heizungen installiert – teils in Eigenleistung, teils mit Unterstützung freiwilliger Helfer. Doch der penetrante Geruch von ausgelaufenem Heizöl sitzt bis heute in Wänden und Böden. „Wir haben es lange gar nicht mehr wahrgenommen, aber unsere Familie roch es sofort.“

In Dernau, Rech und Mayschoß, an der Müllabladestelle oder am alten Bahnhof, taucht Flick tief ein in Erinnerungen. Er sieht Fortschritte, aber auch Stillstand. Häuser sind neu aufgebaut, die Tankstellen ist wieder eröffnet und am ehemaligen Tante-Emma-Läden hängt noch der Wäller Helfen Aufkleber . Doch an vielen Stellen scheint die Zeit stehen geblieben zu sein. Noch immer stehen Fenster vernagelt, Ruinen verfallen, Schuttberge türmen sich hinterm Ortsrand.

Marienthal – ein Ort zwischen Hoffnung und Hindernissen

In Marienthal trifft Flick auf Rolf Schmitt – seit vier Jahren der engagierte Kopf hinter dem Wiederaufbau der Ortsmitte. Hier wurde aus Trümmern etwas Neues geschaffen: Ein modernes Begegnungshaus für Jung und Alt. Das „Freundschafthaus “ ist ein Ort der Hoffnung geworden. Schmitt berichtet in einem Vortrag über die massiven Herausforderungen: Umweltgutachten, Bodengutachten, Genehmigungen. Eine Brandschutzstelle in der Kreisverwaltung blieb über ein Jahr unbesetzt – Bauanträge lagen zwei Jahre unbearbeitet auf Halde. Ein Unding.

„Wenn du neu baust, gibt’s keine Förderung. Die Fluthilfe greift nur bei Wiederaufbau“, erklärt Schmitt. Ein Paradoxon: Wer effizient und nachhaltig modernisieren will, fällt durchs Raster. Gleichzeitig arbeitet die Deutsche Bahn seit vier Jahren täglich – auch sonntags und an Feiertagen – am Wiederaufbau ihrer Strecke. Ohne Umweltgutachten, ohne Verzögerung. Zwei Maßstäbe, ein Tal.

„Wir hatten keinen Auftrag – wir hatten nur ein Herz“

Auch Thomas Pütz, Mitbegründer des Helfer-Shuttles, macht seinem Ärger Luft. Über eine Million freiwillige Helfer seien durch sein Team ins Ahrtal gebracht worden. Die Kosten? Blieben an den Organisatoren hängen. „Ich bin auf einer sechsstelligen Summe sitzen geblieben“, sagt Pütz. „Die zynischste Antwort, die wir bekamen, lautete: Ihr hattet doch keinen Auftrag. Ihr wolltet das doch machen.“

Diese Aussagen und Erlebnisse ziehen sich wie ein roter Faden durch alle Stationen von Flicks Reise. Über 40 Milliarden Euro an staatlicher Fluthilfe und gesammelten Spenden von großen Organisationen sind bis heute nicht vollständig ausgeschüttet. Wie das sein kann, fragen sich nicht nur die Ehrenamtlichen – sondern vor allem die Betroffenen vor Ort.

Wäller Helfen – nachhaltig, transparent und präsent

Der Verein Wäller Helfen hat seit 2021 über 350.000 Euro an Spenden aus ganz Deutschland gesammelt – und kann für jeden Euro Rechenschaft ablegen. „Wir waren von Anfang an im Ahrtal, haben Hilfsgüter gebracht, Möbel geliefert, Räume trocken gelegt“, sagt Flick. „Wir kennen die Menschen, wir begleiten die Projekte bis heute. Unsere Hilfe war nie temporär – sie ist Teil einer gewachsenen Freundschaft.“

Was Flick am meisten bewegt: „Wir sehen immer noch Häuser, die seit der Flut nicht angerührt wurden. Das ist nicht nur traurig, das ist beschämend. Wo bleibt das politische Rückgrat?“ Sein Appell richtet sich klar an die Entscheidungsträger in Land und Bund: „Jetzt ist die Zeit, Verantwortung zu übernehmen. Nicht später. Jetzt.“

Solidarität, die bleibt

Trotz aller Frustration bleibt ein Hoffnungsschimmer: Die Freundschaften, die sich über vier Jahre hinweg entwickelt haben. Die Offenheit, mit der Flick und sein Team im Ahrtal empfangen werden. „Diese Verbindungen sind stärker als jede Vorschrift. Diese Hilfsbereitschaft und Menschlichkeit sollten in unserem Land wieder zur Selbstverständlichkeit werden.“

Hintergrund:

Wäller Helfen e. V. ist das größte Nachbarschaftshilfe-Netzwerk in Rheinland-Pfalz. Der Verein engagiert sich in sozialen, nachhaltigen und regionalen Projekten. Im Ahrtal war Wäller Helfen unmittelbar nach der Flutkatastrophe aktiv und unterstützt bis heute Betroffene und Wiederaufbauprojekte – unbürokratisch, transparent und mit langem Atem. (Wäller helfen)