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20201113 KulturwerkWissenSehr geehrte Frau Ministerpräsidentin Dreyer,
sehr geehrte Frau Staatssekretärin Grütters,

am 20. März 2018 waren Sie im Kulturwerk Wissen Gastgeberin beim Bürgerempfang im Rahmen des Antrittsbesuches unseres Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier – an einem Ort, der in der Blüte der Montanzeit mit über 3000 Beschäftigen der Stadt Wissen ihre Identität gab. Der Niedergang der Weißblechverarbeitung an der Sieg stürzte das Wisserland Mitte der 90er Jahre in die Depression. Doch in den leeren Hallen des ehemaligen Walzwerkes sammelt sich bürgerschaftliches Engagement in der Zukunftsschmiede Wissen. Aus Mut wurde Zuversicht, dem Strukturwandel nicht zu unterliegen, sondern ihn zu gestalten.

Im „Revier“ des nördlichen Rheinland-Pfalz, im ländlichen Grenzraum fernab wichtiger Infrastruktur wie Autobahn, Universität und Breitband, fassten Stadt und Verbandsgemeinde Wissen nach der Jahrtausendwende Mut, in die Zukunft zu investieren. Der RegioBahnhof Wissen wurde zum Knotenpunkt für Pendler, Schüler und Touristen. Das Siegtalbad ist unverzichtbares, generationsübergreifendes Freizeit- und Bewegungsangebot mit hervorragender Bewertung auf Google. Und in der Industriebrache Walzwerk wurde durch unermüdlichen, ehrenamtlichen Einsatz und ein vorbildhaftes Public-Privat-Partnership dank eines Unternehmers mit Herzblut das Kulturwerk Wissen geschaffen. Alle drei Einrichtungen strahlen heute weit über die Region hinaus, jedoch werden sie alleinig von Stadt- und Verbandsgemeinde Wissen getragen.

Fast exakt zwei Jahre, nachdem wir dem Bundespräsidenten und Ihnen den unverwechselbaren Charme der Industriearchitektur, das großartige ehrenamtliche Engagement unterstützt durch Pioniere der heimischen Wirtschaft sowie die Strahlkraft der Kultur, begleitet durch unseren Kulturbotschafter, den Schriftsteller Hanns-Josef Ortheil präsentieren durften, brachte die Corona-Pandemie mit dem Kulturwerk das kulturelle und gesellschaftliche Leben zum Stillstand. Bis Ostern 2021 wurden bereits rund 100 Veranstaltungen abgesagt. Die jährlichen Besucherzahlen sind von über 40.000 auf ein Zehntel gesunken, der Getränkeabsatz noch weit darunter. Mit viel Engagement mauserte sich die Belegschaft mit 4,5 Stellen trotz Kurzarbeit zum landesweiten Vorreiter im Neustart Kultur. Mit Unterstützung vom Kultursommer Rheinland-Pfalz und dem eigenen Förderverein mit 300 Mitgliedern, nach hohen Investitionen in Hygieneeinrichtung und Streaming-Technik konnten exakt am erstmöglichen Tag, dem 10. Juni 2020 mit 75 erlaubten Gästen (statt 878 regulär) die 19. Westerwälder Literaturtage, die in Wissen geboren und mittlerweile von der kulturWERKwissen gGmbH in den Landkreisen Altenkirchen, Neuwied und Westerwald veranstaltet werden, mit einer hybriden Veranstaltung eröffnet werden. Als große Anerkennung haben wir an diesem Tag die Grußworte des Ministers für Wissenschaft, Weiterbildung und Kultur des Landes Rheinland-Pfalz, Hr. Prof. Dr. Konrad Wolf empfunden.
Bis Ende Oktober konnten in 4,5 Monaten rund 50 kulturelle Veranstaltungen und gesellschaftlich dringend notwendige Versammlungen in Pandemie-gerechten Rahmenbedingungen durchgeführt werden – weit entfernt von einer gewohnten Wirtschaftlichkeit, jedoch unerlässlich für den Fortbestand des regionalen, öffentlichen Lebens. Dass eine Fortsetzung der Veranstaltungstätigkeit ab November zur Reduzierung der Kontakte in der Bevölkerung untersagt werden musste, erkennen wir als solidarisches Sonderopfer der Kultur- und Veranstaltungswirtschaft an, auch wenn wir besten Gewissens darauf verweisen können, dass das Infektionsgeschehen im Gegensatz zu bekannten Beispielen von privaten oder religiösen Versammlungen im Bereich der Kultur nicht stattgefunden hat.
Die seit Pandemiebeginn entstandenen 6-stelligen Verluste (rd. 100.000 Euro) der kulturWERKwissen gGmbH muss die Verbandsgemeinde Wissen als Gesellschafterin tragen. Die jährlichen Gesamtkosten für Pacht, Abgaben und Management lagen bei insgesamt 200.000 Euro, was im Vergleich zu Stadthallen in der Region und in anderen Städten einen vergleichsweise niedrigen Wert darstellt. Dabei ist zu bemerken, dass die Stadt und VG Wissen über das PPP-Modell noch bis 2034 zur Zahlung verpflichtet sind, was u.a. den günstigen Pachtzins erklärt. Finanzielle Soforthilfeprogramme von Bund und Land gingen bisher an kommunalen Einrichtungen vorbei. Dies trifft die zweit-höchst-verschuldete Kommune des Landes Rheinland-Pfalz ins Mark, neben Kulturwerk und Siegtalbad bedroht die erneute Stilllegung des öffentlichen Lebens ebenfalls die Gastronomie, die sich auch als Pächter im RegioBahnhof wiederfindet, in ihrem gewohnten Fortbestand.
Als Bürgermeister der Stadt- und Verbandsgemeinde Wissen bitte ich Sie, Frau Ministerpräsidentin, um Solidarität mit den Kommunen. Die finanziellen Lasten der Corona-Pandemie dürfen nicht zum Zwang werden, kommunalrechtlich freiwillige Aufgaben für Kultur und Freizeit auf den Prüfstand zu stellen denn die Verbandsgemeinde Wissen ist seit Sommer des Jahres aufgrund der hohen Fehlbeträge und Ausgaben als „dauerhaft leistungsunfähig“ eingestuft. Wir werden hart selbst konsolidieren, schaffen es aber in den nächsten Jahren nicht aus eigener Kraft und bitten uns neben einer Soforthilfe für den Monat November (diese werden wir beantragen) uns Mittel und Wege zu ebenen, um der Kultur und dem gesellschaftspolitischen Leben unserer Vereine und den Menschen in der Region Westerwald-Sieg eine Perspektive zu geben. Was an der ganzen finanzpolitischen Debatte bzw. dem richtigen Ansatz der Unterstützung von Bund und Land fehlt, ist, dass Kommunen im ländlichen Raum die derart hoch verschuldet sind und gleichzeitig so hohe Infrastrukturkosten für eine ganze Region zu tragen haben. Wir zahlen hohe Umlagen, sind sehr hoch verschuldet, ebenso hilfebedürftig wie der private Sektor und die Veranstaltungswirtschaft, haben aber keine Staatshilfen bisher erhalten. Das empfinde ich als unsolidarisch und nicht gerecht, weil wir vor Ort das Gemeinwohl und die Lebensqualität garantieren. Ohne die weichen Standortfaktoren Kultur, Tourismus und Freizeit wird dem ländlichen Raum die Zukunft genommen. In den Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung zeigen wir uns solidarisch mit den großen Ballungsräumen, aber wir wünschen uns ebenso die Solidarität des Landes bei der Bekämpfung der finanziellen Auswirkungen. Ein unverzichtbarer Aspekt ist für uns hierbei u.a. die Berücksichtigung kommunaler Einrichtungen bei der anteiligen Erstattung von Umsatzausfällen im Rahmen der Corona-Hilfen. (Quelle Rathaus Wissen)